
Die criminal compliance im spanischen Justizsystem
Allgemeiner Überblick im Vergleich mit dem deutschen System
Während des XXXV Kongresses des Deutsch – Spanischen Juristenverbandes, der in Tarragona vom 16. bis 18. September 2021 abgehalten wurde, hat Dr. Jesús Becerra, Anwalt Spezialist für Wirtschaftsstrafrecht, die allgemeinen Charakteristika der Verantwortlichkeit von juristischen Personen im spanischen Bereich dargelegt.
Dank der Beteiligung von Dr. Ingo Bott, einem deutschen Anwalt aus Düsseldorf, der ebenfalls auf Wirtschaftsstrafrecht spezialisiert ist, gab sich damit eine ausgezeichnete Gelegenheit, um einen Vergleich mit dem aktuellen System in Deutschland zu stellen.
Die Ausführung des Anwalts aus Barcelona bestand hauptsächlich darin, in erster Linie aufzuzeigen, unter welchen Umständen eine juristische Person Objekt einer strafrechtlichen Anklage sein kann, und wie die Anwendung eines effektiven Criminal Compliance die Firmen von der strafrechtlichen Verantwortung befreit, wie kürzlich in einem Urteil des Zentralen Untersuchungsgerichtes Nr. 6 , welches am 23. März dieses Jahres ergangen ist, etabliert wurde, welches entschied, die strafrechtliche Untersuchung gegen eine Firma nicht weiter zu verfolgen“… weil vor Begehen des Deliktes die Einführung und Anwendung eines effizienten Modells der Vorbeugung , überwacht von einem autonomen Organ, festgestellt werden konnte…“
Das spanische Strafrechtssystem. Prävention von Straftaten innerhalb des Unternehmens.
Die Zurechnung der strafrechtlichen Verantwortung an die juristische Person
Wie soll die Umsetzung eines Compliance-Programms ablaufen?
Das deutsche Strafrechtssystem
Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem spanischen und dem deutschen Strafrechtssystem
Das spanische Strafrechtssystem. Prävention von Straftaten innerhalb des Unternehmens.
In diesem Sinne, so erklärte Herr Dr. Becerra während der Veranstaltung, existiert die Möglichkeit, dass eine juristische Person in Spanien einem strafrechtlichen Prozess unterworfen wird, und das Werkzeug, um dies zu verhindern, wäre die Ausarbeitung und Kontrolle eines Compliance Program: d.h. auf ideale Strategien zählen zu können, um gegen Delikte im Schoss der Firma vorzubeugen.
Dies erfordert, dass die Firma eine „Selbstkontrolle„ durchführt. Das heisst, Übergabe der Überwachung, Untersuchung und Bestrafung (Aufgaben, die normalerweise vom Staat realisiert werden) an die eigenen Firmenorganisationen.
Desweiteren wurden die Berechtigungen des Modells aufgeführt, die grundsätzlich auf eine Reaktion des Gesetzgebers auf eine gewisse Tendenz der Strukturen der organisierten Kriminalität antworten, und der Schwierigkeit, die Verantwortlichen, die innerhalb dieser Strukturen geschützt sind, zur Verantwortung zu ziehen, bedingt durch die Aufteilung der Funktionen und die Vermischung bei der Zuschreibung in dem Masse, in dem sie „vertikal“ in die Geschäftsführung aufsteigen (unter anderem).
Die Zurechnung der strafrechtlichen Verantwortung an die juristische Person
Der Spezialist erklärte auch, dass die Zuschreibung strafrechtlicher Verantwortlichkeit auf eine juristische Person davon ausgeht, dass ein Delikt vorher von einer Einzelperson begangen wurde, die eine Führungsposition innerhalb der Firma ausübt oder aber dieser Autorität unterworfen ist. Dieses Delikt muss „im Namen“ oder aber „auf Rechnung“ der Firma begangen worden sein, und zu Gunsten dieser. Auf der anderen Seite geht die konkrete Zuweisung des Deliktes auf die Firma von fehlenden Kontrollen aus, wodurch dieser physischen Person das kriminelle Handeln erleichtert wird.
Es wurde besonders betont, dass juristische Personen für einen begrenzten Katalog von Delikten strafrechtlich verantwortlich gemacht werden, die hauptsächlich unter Wirtschafts- und Vermögensstrafrecht fallen (Betrug, Geldwäsche, Steuerbetrug, etc.), mit dem Phänomen der Korruption (illegale Finanzierung politischer Parteien, Einflussnahmen, Bestechung), mit strafbaren Handlungen, bei denen eine erhöhte Möglichkeit besteht, dass das organisierte Kriminalität daran beteiligt ist (Menschenhandel, Bezug zur Ausübung der Prostitution und Drogenhandel), sowie Terrorismus.
Genauer gesagt, im Bezug auf das im Art. 31bis des spanischen Strafgesetzbuches Genannten, wäre die Firma frei von strafrechtlicher Verantwortung, wenn das verwaltende Organ ein effizientes Compliance Program ergriffen hat, welches eine angemessene Überwachung und Kontrolle der unternehmerischen Aktivität erlaubt, und auf der anderen Seite, wenn die physische Person, die dieses Delikt oder das „Basisdelikt“ vorher begangen hat, diese Massnahmen der Kontrolle und Überwachung in betrügerischer Weise umgangen hat.
Wie soll die Umsetzung eines Compliance-Programms ablaufen?
In dieser Reihenfolge beinhaltet die Einführung eines angemessenen Compliance Program erstens die Durchführung einer Analyse im Bezug auf die konkrete Aktivität der Organisation und deren Umfeld, in die dieses Programm eingeführt wird, zusammen mit der Identifizierung konkreter Delikte, die ad intra begangen werden könnten. Diese Vorsorgemassnahmen werden protokollisiert und Geschäftsführung und Personal werden in diesem Punkt entsprechend ausgebildet. Zweitens muss ein Überwachungssystem eingeführt werden, welches rigurose und wirksame Informationsquellen bietet, die die Grundlage zur Entwicklung interner Untersuchungen bilden, um Vergehen bei der Durchführung aufzudecken. Die Aufdeckung der Straftäter wäre ausserdem vollkommen unwirksam, wenn das Ganze nicht von einem Bestrafungssystem begleitet wird, das effektiv angewandt werden kann. Abschliessend muss das Compliance Program periodischen Revisionen unterworfen werden, die die Einführung von eventuell notwendigen Korrekturen erleichtern.
Das deutsche Strafrechtssystem
Diese grundsätzlichen Charakteristika strafrechtlicher Verantwortlichkeit bei juristischen Personen, die von Herrn Dr. Becerra ausgeführt wurden, kontrastieren mit dem deutschen System, in dem es dazu kein System per se gibt. Wenngleich die Einführung eines Compliance Program in diesem Land an der Tagesordnung ist, hat die Nichterfüllung der Überwachungs- und Kontrollaufgaben keine strafrechtlichen Konsequenzen, sondern es werden administrative- oder Geldstrafen für die Firmen ausgesprochen. All dies unter der Möglichkeit, dass einer juristischen Person ein Bußgeld auferlegt wird, wenn ein Organ oder ein Repräsentant dieser oder eine Person in leitender Stellung innerhalb der Firma ein administratives Delikt oder Vergehen begangen hat, wie im § 30 (1) OWIG gesagt. Mit diesem System wird all dies ausserhalb der strafrechtlichen Regelung gehalten, was sich auf die Bestrafung der Unternehmen bezieht, und somit die Unversehrtheit des Prinzips: societas delinquere non podest.
Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem spanischen und dem deutschen Strafrechtssystem
Nichtsdestotrotz hat das Sanktionensystem in beiden Einrichtungen einige Ähnlichkeiten: Zum Beispiel, auch wenn das Verhängen einer Geldstrafe nicht die einzige Bestrafung ist, die es gibt, so geht die Tendenz jedoch dahin in beiden normativen Einrichtungen, und logischerweise sind dann die Konsequenzen praktisch die Gleichen.
Trotzdem weist Dr. Becerra darauf hin, dass der grundsätzliche Unterschied in der Wortbedeutung liegt, in der Voreingenommenheit, dass eine Firma sowohl einem strafrechtlichen Prozess als auch einer strafrechtlichen Sanktion unterworfen werden kann. Ohne dabei zu vergessen, dass der strafrechtliche Prozess, dem eine Firma unterworfen wird, die Behörden dazu verpflichtet, den juristischen Personen die ganze Batterie der konstitutionellen Garantien, die es in diesem Gerichtsstand gibt, zuzusichern, und die vielleicht nicht mit dergleichen Rigurosität im administrativen Prozess gelten.
Bei all dem muss abschliessend gesagt werden, dass das in Spanien angewandte System noch sehr neu ist, und sich in voller Entwicklung befindet .
Die Suche in den Datenbänken der spanischen Jurisprudenz zeigt an, dass es im Moment nur knappe hundert Gerichtsentscheidungen gibt, die direkt mit dem Art. 31bis in Verbindung gebracht werden können. Demnach ist für die Verbreiterung und Konsolidierung des Modells ein längerer Zeitraum erforderlich.
Literatur
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